Journal #2: Kreative Arbeit und ihr Wert
Die Journale erscheinen monatlich und sind ein Übergriff für Essays, Kommentare, Erzählungen und Beobachtungen von persönlichen und/oder weltbewegenden Begebenheiten. Journal #2 beschäftigt sich mit dem Wert von kreativer Arbeit und der Unmöglichkeit von freier Zeiteinteilung.
Kreative Arbeit und ihr Wert
Eigentlich wollte ich endlich über etwas Profanes sinnieren, wie zum Beispiel Skateboarden, aber Journal #1 hat noch etwas nachgehallt (besten Dank für euer Feedback). So ganz lässt mich das Thema „kreative Arbeit“ (noch) nicht los. Zeiteinteilung zum Beispiel ist etwas, dass mir im Kontext von kreativer Arbeit immer noch extrem schwer fällt. In einem Familienverband, in dem alle Erwachsenen berufstätig sind, ist Zeit grundsätzlich eine komplexe Angelegenheit, eh klar. Schnell ergibt sich das Gefühl, dass zu wenig davon da ist: Für die Kinder, für die Partnerschaft, für sich selbst, für die Arbeit. Sogar für die Katze. Da sind ja auch eine Menge Bedürfnisse im Spiel. Zuwendung, Aufmerksamkeit, Spiel, Ruhe, Erholung, Zweisamkeit, Alleinsamkeit, Zerstreuung, Selbstverwirklichung, Erfolg, Ehrgeiz, Lob, Sport, Ausgleich, usw.. Dazu kommen noch Haushalt und schlussendlich – last but not least – auch noch Geldverdienen. All diesen Bedürfnissen gleichermaßen gerecht zu werden, wird sich nicht ausgehen. Jede:r muss für sich entscheiden, in welchem Verhältnis diese Bedürfnisse zueinander stehen und in weit sie erfüllt werden müssen/können. Beziehungsweise stellt sich oftmals nicht die Frage, weil das Bedürfnis des Geldverdienens eine Notwendigkeit ist, und alle anderen Bedürfnisse hintanstellt.
Für uns als Eltern war immer recht klar, dass die Bedürfnisse unserer Kinder relativ weit vorn gereiht sind (womit wir wahrscheinlich nicht die einzigen Eltern sind, denke ich). Wir konnten uns bis jetzt auch leisten – geringen Fixkosten sei Dank – beruflichen oder monetär messbaren Erfolg eher dahinter anzusiedeln. Wir sind berufstätig und müssen einen Patzen Geld erwirtschaften, um unser Leben zu finanzieren, in unserer persönlichen Prioritätenliste ist das Kindeswohl aber wohl vor Karriereleiter und Bankkonto gereiht. Zum Beispiel holen wir unsere Kinder nicht jeden Tag zum spätmöglichsten Zeitpunkt ihrer Betreuungseinrichtungen ab, sondern relativ flexibel, dynamik- und situtationsabhänging und nach unserem Ermessen, was ihnen ihrem jeweilige Alter entsprechend gut tut. Das geht natürlich auf Kosten unserer erwachsenen Zeit, also meistens Arbeitszeit, die dann oft zu knapp ist. Trotzdem haben wir uns bewusst für ein derartiges Modell entschieden. Und klar, diese Entscheidung überhaupt treffen zu können, ist auch eine Art Luxus, das steht außer Frage. Wenn du dir aussuchen kannst, was du beruflich machst, geht’s dir grundsätzlich nicht so schlecht. Nur damit das einmal gesagt ist.
Jedenfalls nimmt Kinderbetreuung – und dazu zähle ich tatsächliche Betreuung, emotionale Verfügbarkeit, Elternarbeit in selbstverwalteten Einrichtungen, und alle sonstigen Energien, die in die Kinder fließen – also einen erheblichen Teil meiner Zeit ein. Haben wir uns so ausgesucht und finde ich auch gut so. Die übrige Zeit kann ich mir als Freiberufler frei einteilen. Zumindest theoretisch. Bei zu erledigenden Tätigkeiten, die einen unmittelbaren Gegenwert oder ein direktes Ergebnis versprechen, klappt das ganz gut. Also zum Beispiel Geschirrspüler ausräumen, Steuererklärungen ausfüllen oder Payjobs und Auftragsarbeiten erledigen. Tatsächlich aber fällt es mir unheimlich schwer, mir Zeit zu nehmen für Tätigkeiten, die nicht direkt messbar sind, wie im Journal#1 besprochen. Warum aber fällt es so schwer, abstrakte Tätigkeiten, wie kreative Arbeit an sich, als ansehnlich und notwendig zu bewerten? Also, nicht nur die finanzielle Vergütung eines kreativen Produkts, sondern auch den Prozess selbst als wertvollen, wertschätzenden oder wertschöpfenden Beitrag zu sehen? Aktienspekulationen sind auch eher abstrakte Tätigkeiten, werden allerdings nicht so diminuierend behandelt. Zumindest hören Broker:innen wahrscheinlich eher selten Fragen wie: “Ist ja witzig! Und das geht sich finanziell aus bei euch?” Oder “Ach, schön, das wollt ich früher auch immer machen!” Vielleicht weil ihr Ertrag im Erfolgsfall wirkliches, echtes Geld ist? Und nicht nur ein Gefühl, ein festgehaltener Moment, eine Stimmung?
Bei derartigen Diskussionen hab‘ ich bisang immer Frederick, den Mäusedichter als allegorisches Schild verwendet, gegen alle Nichtigkeitsvorwürfe gegenüber der Wichtigkeit von Kunst und Kultur. Im Gegensatz zu allen anderen Mäusen, die brav Korn und Getreide auflesen, sammelt Frederick nur Sonnenstrahlen und Farben. Und ohne seine Farben, von denen er dann erzählt, würden die anderen Mäuse in der finsteren Winterhöhle durchdrehen. Sein Beitrag ist also von immenser Bedeutung. Absolut wertvoll, keine Frage. Ill Tidings, die beste Schwarz- und Hautmalerin der Stadt, hat mich letztens allerdings auf einen weiteren Aspekt hingewiesen. Natürlich sind Fredericks Sonnenstrahlen wichtig, andererseits mühen sich alle anderen Mäuse einen Sommer lang ab und sammeln lebenswichtige Nahrungsmittel, während er auf einem Stein hockt und in die Sonne schaut. Aber ist er, weil er sich nicht sichtlich körperlich anstrengt, unkollegial? Oder ist er gar unsolidarisch, weil er im Vergleich einer leichteren Arbeit nachgeht? Ist seine Arbeit tatsächlich leichter? Hm, schwierige Frage. Selbstverständlich können nicht alle Mäuse nur Sonnenstrahlen sammeln. Dann würden sie verhungern. Gleichzeitig würden sie ohne Frederiks Erinnerungen und Erzählungen auch nicht unbeschadet durch den Winter kommen. So weit so gut. Aber die wesentliche Frage ist doch:
“Warum glaubt Frederick, ausgerechnet er ist derjenige, der die Sonnenstrahlen sammeln darf?”
Eine für mich essentielle Fragestellung. Und eine, an der ich regelmäßig scheitere. Fast ständig frage ich mich, was mir das Recht gibt, nur kreativ zu arbeiten. Mit welcher Befugnis ich mir meine Zeit (relativ) frei einteile, und Ideen und Projekte verfolge, die nur ich als verfolgenswert beurteile. Ob das was ich dabei herstelle, produziere und sammle überhaupt als wertvoller Beitrag gelten kann. Ah, da rutscht ja gleich ganz unabsichtlich ein wertvoll mit. Selbstverständlich kann ich mir diese Bestätigung des Werts teilweise von außen holen, über Konzerte, Feedback von Fans oder sogar über kleine Verkaufszahlen. Alles wesentlich für meine Arbeit! Aber im Grunde muss ich das mit mir selber ausmachen: Kann ich mir tatsächlich anmaßen zu behaupten, das was ich schaffe, ist wertvoll genug, um nichts anderes schaffen zu müssen? Vereinfacht ausgedrückt, ist es gut genug? Bin ich denn überhaupt gut genug?
Da sind wir schnell wieder bei der Frage nach der Wichtigkeit von Kunst (um bei der Metapher zu bleiben: von Sonnenstrahlen). Die Prinzipien der Leistungsgesellschaft sehen keine Graustufen vor. Farbverläufe lassen sich nicht zählen, messen oder ordnen. Du sammelst Körner, oder du bist wertlos. Und daher weht ja auch die oben besprochene Unmöglichkeit der freien Zeiteinteilung. Wie soll ich die Vorreihung meines kreativen (Arbeits-)Bedürfnisses vor allen anderen Notwendigkeiten rechtfertigen, wenn ich mir diese Frage nach der Wertigkeit nicht einmal selbst bejahen kann? Das schlechte Gewissen ist da vorprogrammiert. Aber muss das denn sein?
Zugegeben, manchmal kann ich das eh. Dann kann ich diese Frage mit Ja beantworten und so einem plötzlichen Ideenwahn oder einer Ahnung auch ohne Rücksicht auf Verluste nachgeben. Und ohne mich vor mir selbst rechtfertigen zu müssen. Aber im Angesicht der vielen anderen Bedürfnisse, also nicht nur meiner, kommen da schon sehr schnell Zweifel auf. Macht ja auch irgendwie Sinn. Und vielleicht ist das einfach meine Art und Teil meiner künstlerischen Auseinandersetzung. Ich kenne auch Künstler:innen, die absolut nicht in Frage stellen, dass ihr Werk großartig ist, und die von sich selbst ganz beeindruckt sind. Die keinerlei Zweifel an der Unentbehrlichkeit ihres Schaffens haben. Das ist sehr beneidenswert. Aber auch ein wenig unsympathisch. (Ok, eher ziemlich unsympathisch). Weil, wie gesagt, wenn alle überzeugt wären, nur sie allein könnten Sonnenstrahlen sammeln, hat halt niemand was zu beißen. Auch das sollte stets im Hinterkopf behalten werden.
Schlussendlich, um da nicht ins endlose zu philosophieren, find‘ ich es gar nicht so ausschlaggebend, wie diese Frage nach der Wertigkeit von kreativer Arbeit beantwortet wird. Schließlich ist das sehr persönlich und eben nicht messbar. Und es wandelt sich ja ständig. Da gibt es keine absolute Antwort drauf. Umso wesentlicher ist es, dass diese Frage grundsätzlich gestellt wird. Immer wieder. Das macht den kreativen Prozess nicht nur reflektierter, sondern gleichzeitig auch wertvoller. Zumindest für eine:n selbst. Und das ist ja wohl unbezahlbar. Ha, nächstes Mal aber wirklich was Leichteres, versprochen!