Matthäus Bär

Journal #4: Skateboarden

Die Journale erscheinen monatlich und sind ein Überbegriff  für Essays, Kommentare, Erzählungen und Beobachtungen von persönlichen und/oder weltbewegenden Begebenheiten. Journal #4 beschäftigt sich mit Skateboarden in den 90ern und Coolsein im Alter.


Skateboarden

 

[Disclaimer:] Die Ereignisse in der Ukraine machen sprachlos. Wenn Undenkbares Wirklichkeit wird, fehlen dafür die Worte. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen finde ich es wichtig, das Denken, das Sprechen und das Leben lebendig zu halten und sich nicht von dieser Lähmung unterkriegen zu lassen. Natürlich ändert das nichts am Leid und am Schrecken, aber es trägt vielleicht ein klitzekleines Stück dazu bei, all das Schwere in der Welt (er)tragen zu können. In diesem Sinne, das Februar-Journal: Skateboarden!

 

Im Österreich der Allneunziger gab es für Heranwachsende mehr oder weniger nur zwei Optionen: Skater oder Gabber (am Land einfach oft auch als Prolo bezeichnet). Zwischen diesen beiden Polen musstest du auswählen und dich entscheiden. Mit dieser Wahl entschied sich dein soziales Standing, deine Positionierung und in manchen Fällen vielleicht sogar deine Zukunft. Die beiden Strömungen standen in vielen Aspekten konträr zueinander, was schon durch die modischen Charakteristika und Codes offensichtlich wurde. Die diversen Accessoires und Gimmicks waren von extremer Bedeutung und stark von einschlägigen Marken geprägt. Sowohl unter Skatern sowie bei den Prolos war es äußerst wichtig, die Originalität dieser Marken und Hersteller möglichst deutlich zur Schau zu stellen. Wer sich diese nicht leisten konnte, musste zu billigeren Faksimile-Produkten greifen, was die sozial-hierarchischen Chancen drastisch verringerte.

Der Vorzeigeskater der späten 90er trug zum Beispiel: Weiter Hoodie (Element, Hook-Ups oder Blind, Baggie-Pants (Volcom oder Carhart) möglichst tief unter der Hüfte, den obligatorischen, breiten Stoffgürtel mit metallenem Schiebeverschluss sowie globige, breite Turnschuhe (Globe, és, Emerica, Osiris). Die Prolos und Gabber hingegen zeichnetet sich aus durch trittfest Plateauschuhe (Buffalo), enge bis glockenschnittartige Jeans (Diesel), zu den Ellbogen aufgekrempelte Pullover (Umbro), bis hin zur Bomberjacke (Lonsdale). Je nach Abstufung wurden hierzu entweder extreme Kurzhaarschnitte mit zu kronenartigen Kränzen aufgegelten Strähnen oder enge Baseballcaps tief im Nacken getragen. Der Beitrag hier stellt natürlich keine Ansprüche an Wissenschaftlichkeit – mit Sicherheit gibt es feine sozialwissenschaftliche Studien und modehistorische Abhandlungen über beide genannten jugendkulturellen Strömungen. Es soll hier ja auch nicht um Jugendkultur allgemein gehen, sondern um meinen persönlichen Zugang zum Skateboarden. Ich hab‘ mich relativ früh für Letzteres entschieden. Aus dem Techno, Hardcore und Hooliganwesen kommend, haftete den Gabbern, Schranzern und Hardstylern gemeinhin eine gewisse Härte und Gewaltbereitschaft an, was mir als 10-jährigen nicht so zugesagt hat. (Heute auch nicht, übrigens).

Skaten geht ja weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, auch darüber gibt es genügend Abhandlungen. In Zeiten meiner maßgeblichen Sozialisation fand es gerade (wieder) den Weg zurück in den Mainstream. Tony Hawk schaffte es wie kein Zweiter, sich und seinen Sport zu vermarkten und als massentaugliches Konsumgut zu etablieren. Ein geschickter Schachzug: Im Fahrwasser von Grunge, 90s-Punkrock und MTV gelang es den marktführenden Board- und Bekleidungsfirmen irgendwie, Skaten weltweit als Gegenkultur zu positionieren – und gleichzeitig als superkapitalistische Freizeit-, Sport- und Modeindustrie. Das Bedürfnis nach alternativen und gleichzeitig ein bisschen nihilistischen Lebensentwürfen, ohne die Radikalität des frühen Punks mitgehen zu müssen, wurde perfekt abgefangen. Einem multinationalen Konzern Geld für ein Skateprodukt zu geben, wurde quasi zu einem subversiven Akt. Skatevideos und Skatevideospiele holten schlussendlich die letzten nach digitalen Erlebnissen lechzenden 90ies-Kids auf’s Board. Am Höhepunkt der Skatebegeisterung schaffte es irgendeine findige Firma, jedem Bürgermeister in Österreich ein paar dieser beliebten blauen Plastikrampen anzudrehen (zweifelsfrei kennen die alle in Österreich nach 1988 geborenen Menschen). In Folge gab es in jeder zweiten Ösi-Gemeinde einen kleinen flecken Asphalt mit den besagten blauen Rampen, die in den seltensten Fällen tatsächlich mit dem Skateboard befahrbar waren. OK, es gab und gibt natürlich auch Ausnahmen wie Rollerblades und Scooter, aber darüber hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens. In Zeiten, in denen die Flucht ins Internet noch nicht möglich war, blieb dir also als junger Mensch (fast) nichts anderes übrig, als zu skaten. Oder halt Mopeds zu flicken und Gabber zu hören. Die Freiwillige Feuerwehr war eventuell eine weitere Option.

Bär als Mid 90s Kid

Zwischen 10 und 14 war ich voll im Skatemodus, jeden Nachmittag. Die fehlende Kraft in unseren Kinderbeinchen haben wir mit Motivation ausgeglichen. Wir konnten zwar nichts, aber darum geht’s ja beim Skaten eigentlich auch nicht. Als ich dann die Kraft gehabt hätte, waren plötzlich andere Dinge interessanter. Ausgehen, ausprobieren, schlafen und schlussendlich Musik und Musikmachen. Skaten war immer ansprechend, ich hab’s aber irgendwie aus den Augen verloren. Auch die Skateshops wurden weniger, der Anblick von Skateboardenden auf den Straßen seltener. Vielleicht liegt es auch nur an meiner Wahrnehmung, aber ich hatte den Eindruck ab 2005 wurde der Skatelärm in den Städten leiser. Vielleicht stimmt das auch nicht, und ich hab’s einfach nicht gesehen, jedenfalls war Skaten für mich die nächsten 15 Jahre passé.

Dann hat sich aus irgendeinem Grund meine eigene Tochter dafür interessiert. Und ich war wieder Feuer und Flamme. Hab‘ meine alten Decks gesucht und einmal ins Internet geschaut. Oh my, das war ein Erlebnis! In meiner aktiven Skatezeit gab es ja nur VHS. Das Knowledge über Tricks wurde mühsam durch Vor- und Zurückspulen erarbeitet oder durch Mundpropaganda weitergegeben. Jetzt geschieht das alles online. Wie alle Problemlösungen des Lebens auf Youtube zu finden sind, werden hier auch alle möglichen Skatetricks penibelst erklärt. Es gibt Content ohne Ende, jeder mäßig begabte Skater hat einen eigenen Instagramauftritt. Das erste Jahr meines Re-Entrys hab‘ ich eigentlich im Internet verbracht und erst einmal 15 Jahre Skategeschichte nachgeholt. Skaten hat sich natürlich verändert. Die Athletik ist enorm, die Tricks verrückter, das Business größer. Es gibt eine weltweite Wettbewerbsliga und Skateboarden ist mittlerweile olympische Disziplin. Wie viel „Gegenkultur“ noch in olympischen Sportarten steckt sei dahingestellt, da gibt es natürlich auch große Sellout-Vorwürfe diesbezüglich.

Family Shredding

Auch ganz persönlich hat es sich verändert. Körperlich macht es natürlich einen Unterschied, ob du mit 15 oder mit über 30 auf den Asphalt knallst. Die Beweglichkeit ist enden wollend und jeder kleine Sturz birgt die absolut wahrscheinliche Gefahr einer Verletzung. Lustig ist auch, wie sich die Außenwahrnehmung deiner Person verändert, plötzlich gehörst zu den alten Eisen am Platz. Und die sind nicht allein. (Wieder-)Skaten in den Thirties is a thing, siehe Youtube. Viele jetzt 30- bis 40-jährige entdecken gerade den Sport ihrer Jugend und versuchen sich wieder auf den Brettern. Die hiesigen Physiotherapeuten können Lieder davon singen. Auch der Markt hat das erkannt, wie etwa die Re-Issues der Tony-Hawk-Games samt Soundtrack belegen. Mir persönlich macht es Spaß, mit oder ohne Kinder, ohne großen Leistungsdruck neue und alte Tricks zu erlernen und die Lernunwilligkeit meines eigenen Körpers ab und zu zu besiegen. Selten, aber doch.

Ein paar Dinge haben sich verändert, ein paar sind allerdings gleichgeblieben. Ich hab‘ bewusst bis jetzt von Skatern geschrieben. In den 90ern war mir bis auf Elissa Steamer und meiner Freundin Linda, keine weitere Skaterin bekannt. Das hat sich natürlich gewandelt. Es gibt weltweit All-Girl-Crews und -Firmen, auch queere und non-binary Communities sind im Skateboarden verhältnismäßig stark vertreten. Vereinigungen wie die Brettl Bande oder auch der Skateboardclub in Wien supporten aktiv die Nutzung des öffentlichen Raums durch und von FLINTA*. Denn das hat sich wie auch in der restlichen Gesellschaft natürlich nicht wahnsinnig verändert: Gehst du in den Skatepark, wird auch 2022 über 90% des verfügbaren Raumes von jungen (cis)-Männern beansprucht. Wenn du nicht zu dieser Gruppe gehörst (oder zum Beispiel nicht so gern bei minimaler Hitze dein T-Shirt ausziehst), brauchst du schon noch gehörigen Mut und Entschlossenheit, um dich da auf’s Parkett bzw. den Beton zu wagen. Da tut sich auch was und das Bild verändert sich, aber trotzdem, way to go. Skateboarden ist auch ein super Vehikel dafür. Schon im Grundgedanken geht es um Aneignung von Raum und um Sichtbarmachen und um Abweichen von der Norm. So gesehen ist darin schon ein Teil Gegenkultur verankert. Und Skateboarden lässt sich nicht verallgemeinern, es ist divers. Die Gründe ein Skateboard zu besteigen sind unendlich. Neben politisch und künstlerisch Aktiven, die Skateboarden als gesellschaftsverändernden Akt sehen, gibt es genauso die kiffenden Slacker:innen sowie die auf Erfolg und Gewinn getrimmten Athlet:innen und Energydrinktrinkenden. Ich finde, Skaten ist von allem ein bisschen, das ist ja das Schöne.

Generationenkonflikt Skateboard

Was sich auch nicht allzu viel verändert hat, ist der Faktor Coolheit. Was da geposed wird auf den Skateplätzen, alter Falter. Je ernster und finsterer du schaust, desto besser. Klar, wenn du dann wen kennenlernst, alles nett und lieb, aber so im ersten Eindruck macht es das Näherkommen auch nicht immer leichter. Selbst als „Alter“ muss ich da gestehen, lieber am Vormittag allein und ohne Zuschauer zu fahren, als unter den Augen von 35 halbstarken Megatalentierten meine Babytricks zu probieren. Vielleicht schäm‘ ich mich auch einfach für mein Nichtkönnen, aber das ist auch okay. Selbst wenn ich jetzt nicht mehr den Verve der ersten Wiedereintstiegsphase hab‘, seh‘ ich mich schon wieder als Skater. Ich fahr‘ jetzt nicht sehr regelmäßig und nicht besonders erfolgreich, aber es macht Spaß und ich tu’s tatsächlich nur für mich. Das find ich super. Und wenn ich dann manchmal im Pensionistenstyle durch den Park roll‘ und nichts Nennenswertes zusammenbringe, bin ich trotzdem happy. Allein das Herumrollen reicht manchmal schon. Skaters gonna skate. Zum Abschluss noch ein Funfact: Als ich mit meiner Tochter einmal im Skateshop war, hat sie mich danach gefragt, warum ich jetzt so komisch mit dem Verkäufer geredet hab‘. „Wolltest du etwa cool sein?“ Aber ja doch!!

In Würde skaten